Sonnenwindschattenspiel

Ich fuhr mit dem Bus einfach los, nach Zagreb, um dort 24 Stunden zu verbringen. Mit dem Buch in meiner Tasche, in dem ein Teil von dir war. Im Buchladen konnte ich dein Buch nicht auf Anhieb finden und es fiel mir schwer, die Verkäuferin zu fragen, ob sie dein Buch überhaupt im Angebot hat. Das Buch wollte ich selbst finden, mich mit dir in der Stille zu treffen.

Für so ein kleines Land, gab es sehr viele Schriftstellerlnnen und ein Haufen Bücher. Dein, diesmal kleines, schwarzes Gedichtsbuch, konnte ich nicht finden und musste die Verkäuferin doch fragen. Dein Buch war ihr gleich bekannt.

Ich las deine Worte als der Bus losfuhr und als ich noch den Panorama Blick auf die Bucht von Bakar schweifen ließ um einen Vers auf mich wirken zu lassen, fanden sie einen Flüchtling auf dem letzten Sitz, ohne Fahrkarte, ohne Dokumente. Der Bus-Beifahrer rief die Polizei an, aber ein paar Kroatinnen im Bus setzen sich ein, dass er im Bus bleibt. Der Beifahrer wollte das erstmal überhaupt nicht, dann weichte er auf und ließ den Jungen im Bus. Die Frauen bezahlten seine Karte, er schämte sich. Es machte keinen Sinn, ausser dass seine Hoffnung für 2,5 Stunden verlängert werden konnte bis er wieder nach Serbien abgeschoben wird. So lange dauerte noch die Fahrt nach Zagreb.

Ich las weiter deine Poesie, dein Geist war mit mir, wie oftmals als ich in Kroatien war. Warum fühlte ich mich wie ein sonniger Schatten von dir? Das Spiel zwischen Sonne, Wind und Schatten hat mich oft an dich erinnert. Ich fühlte mich wie das Sonnenwindschattenspiel von dir.

Ich hatte keine Lust, die Naturlandschaft durch das Busfenster zu beobachten wie sonst. Mit deinem Buch verging die Zeit schnell. Am Busbahnhof Zagreb merkte ich sofort die hellblauen Polizistenhemde. Einer sagte seiner Kollegin: „Näher’ dich dem Bus an, es kann passieren, dass der Flüchtling wild wegzurennen versucht.“

Mir kamen ständig Tränen in die Augen, nicht weil er ein armes Flüchtling war, sondern weil er nicht frei wie ich sein durfte und ich für seine Freiheit nichts tun konnte. Wir alle anderen mussten für unsere Freiheit nichts besonderes tun.

Die Polizei brachte den Flüchtling zum Asylantenzentrum und wir konnten nur an eine höhere Macht, die sich um ihn kümmern wird, glauben.

Andreja und Sanja warteten auf mich in schönen Sommerkleidern. Ich kam mir selbst in schwarzen Klamotten zu ernst vor. Berlin hat mich verändert. Sogar meine Beine habe ich nicht mackellos depiliert. Dein Buch habe ich Andreja verschenkt und nach drei Litern Wein und Cola rezitierten wir deine Gedichte in der Küche.

Die Zagreber Wohnung von Andreja war eine Art Wohnung, von der ich in meinen Studententagen oft geträumt hatte. Weit weg von den Eltern und ihren Erwartungen zu sein, um mit einer Gruppe Gleichgesinnten, Pläne für die Weltveränderung zu schmieden. Klar wärest du auch dabei. Und klar hätte Kroatien keine Schatten an seinen Grenzen.

Vielleicht werde ich irgendwann die Stadt besuchen, in der du gelebt hast, um ein imaginäres Lebensstrahl von dir einzuatmen, während ich in kleinen Gassen laufe oder in Cafés sitze, in denen du deine Gedichte geschrieben hast. Ich kenne diese Straßen nicht, entweder die Cafés, aber ich weiß, dass ich dich fühlen werde. Und wenn mein Wunsch nach dir gesättigt wird, werde ich zurückkehren, woher ich kam. Ich werde es versuchen, das Alte mit neuen Augen zu betrachten, neue Formen zu sinnieren, das Neue aus Fragmenten der Vergangenheit zu flechten.

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